Knappheit von Ressourcen erfordert ein Umdenken im Handwerk. Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Lieferketten sind notwendig, ebenso wie die Vermeidung und verantwortungsvolle Entsorgung nicht wiederverwertbarer Stoffe.
Die aktuellen Herausforderungen umfassen steigende Materialkosten, Forderungen nach Klimaneutralität und zunehmende Berichterstattungspflichten. Mit Gesetzen wie dem Lieferkettengesetz und dem Digitalen Produktpass wird ein vorausschauendes Vorgehen notwendig. Neue Produkte und Geschäftsmodelle fördern die Kreislaufwirtschaft, die mehr umfasst als nur Abfall und Recycling.
Es geht um die ganzheitliche Betrachtung des Produktzyklus, von der Gestaltung über Produktion und Nutzung bis zur Rückführung von Materialien. Dies wird als „Zirkuläre Wertschöpfung“ oder „Circular Economy“ bezeichnet.
Derzeit engagiert sich die Handwerkskammer Münster in drei wegweisenden Projekten zu diesem Thema:
Das Projekt "Circular Performer Emscher-Lippe" setzt auf einen unternehmensgetriebenen bottom-up-Ansatz, um das Ziel "Triple Zero: Zero Carbon, Zero Waste und Zero Pollution" zu erreichen und konzentriert sich auf Leitprojekte in verschiedenen Stoffströmen der Region Emscher-Lippe wie Metalle, Kunststoffe und Bioökonomie, sowie auf Querschnittsthemen wie den digitalen Produktpass und die Bauwirtschaft.
Die Projektinitiative "Kreislaufwirtschaftsregion Münsterland" hat das Ziel einen wesentlichen Beitrag zur Transformation des Münsterlandes hin zu einer innovativen, ressourceneffizienten und klimafreundlichen Wirtschaftsregion zu leisten. Sie unterstützt die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure bei der Anwendung, Verbreitung und langfristigen Implementierung der Methoden und Modelle der „Circular Economy“.
Im Rahmen von Interreg VI haben sich die Partner des Projektes "Two4C - grenzenlos zirkulär wirschaften" zusammengetan und möchten dazu beitragen, die Herausforderungen des Themas "Kreislaufwirtschaft" auf beiden Seiten der Grenze zu meistern. Die Handwerkskammer Münster, der Landkreis Grafschaft Bentheim, Oost NL, die Stichting Kiemt, die Saxion Hogeschool und verschiedene niederländische und deutsche KMU werden zusammenarbeiten, um den Umstellungsprozess zu einer Kreislaufwirtschaft in der deutsch-niederländischen Grenzregion anzuregen und die Wirtschaft dabei zu unterstützen.
Förderangebot Ressourceneffizienz-Beratung
Mit dem Förderprogramm "Ressourceneffizienzberatung" sollen die gewerbliche Wirtschaft und das Handwerk bei der Steigerung der Ressourceneffizienz und der Transformation zu einer Circular Economy unterstützt werden. Dadurch können die Unternehmen ihre Wettbewerbsposition steigern. Nordrhein-Westfalen kann sich als Standort für eine umweltschonende, ressourceneffiziente Produktionsweise und nachhaltiges Wirtschaften etablieren.
Die geförderten Beratungen sollen die Unternehmen dazu veranlassen, den Blick auf eine ressourceneffiziente und zirkuläre Wirtschaftsweise auch im Sinne des European Green Deal zu richten. Dazu stehen rund 4 Millionen Euro an EU- und Landesmitteln zur Verfügung.
Gefördert werden unabhängige Beratungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aller Branchen mit dem Fokus auf eine kreislauforientiertere, ressourcenschonendere und -effizientere Gestaltung ihrer Geschäftsabläufe und -modelle, Produktionsprozesse und Produkte im Sinne von Artikel 2.2 der Förderrichtlinie Ressourceneffizienz und Circular Economy.
Berechtigt zur Antragsstellung sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der gewerblichen Wirtschaft mit Sitz oder Niederlassung in Nordrhein-Westfalen. Ebenfalls teilnahmeberechtigt ist, wer seinen Sitz oder eine Niederlassung in der Europäischen Union hat, wenn das Vorhaben vorwiegend in Nordrhein-Westfalen durchgeführt und verwertet wird.
Die Einreichungsfrist endet am 31. Dezember 2026.
Heutige „lineare“ Wertschöpfung
Man kann sich die Wertschöpfung wie einen Hügel vorstellen. In unserem aktuellen „linearen“ Wirtschaftssystem kämpfen wir uns zunächst mühevoll den Hügel hinauf (Abbildung 2). Wir bauen mit großem Aufwand Wertschöpfung auf, indem wir Rohstoffe extrahieren und sie zu Produkten verarbeiten, die wir anschließend in der Wirtschaft und Gesellschaft verteilen, verkaufen und konsumieren. Heutzutage erreichen wir hier oft den Gipfel des Wertschöpfungshügels. Denn die Wertschöpfung von (produzierenden) Unternehmen endet meist mit dem Verkauf eines Produktes. Nach einer häufig zu kurzen Nutzungsdauer von manchmal nur wenigen Sekunden erfolgen dann die Entsorgung, energetische Verwertung oder gar Deponierung, die nicht immer korrekt bzw. optimal verlaufen (z. B. Fehlwürfe, illegale Müllexporte) … oder um im Bild zu bleiben: wir fallen quasi den Hügel herunter, den wir mühevoll erklommen haben und vernichten Werte und Wertschöpfung. Hinzu kommen immense Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima.
Abbildung 2: Wertschöpfungshügel der linearen Wertschöpfung. Quelle: Prosperkolleg nach “The Value Hill“ von Circle Economy (2016)
„Zirkuläre“ Wertschöpfung
Anders sieht es in der „zirkulären“ Wertschöpfung aus (Abbildung 3). Hier geht es darum, möglichst lange auf dem Gipfel des Wertschöpfungshügels zu bleiben, der nun zu einem Plateau wird. Es geht also darum, den Wert der produzierten Dinge bzw. die Wertschöpfung möglichst lange zu erhalten oder gar zu steigern. Dies fängt bereits beim Design von Produkten und der Entwicklung von Geschäftsmodellen an. Sie ermöglichen bzw. beinhalten zentrale Strategien zur Umsetzung der Zirkulären Wertschöpfung (siehe Abbildung 3 rechts und Abbildung 4): Vermeiden und Verringern, länger nutzen, Weiter- und Wiederverwenden, Instandhalten, Überholen/Wiederaufbereiten (Refurbish), Reparieren, Refabrikation (Remanufacturing) sowie Recyceln und Rückgewinnen von Materialien in Abbau, Produktion, Distribution und Konsum. Dabei erfolgen alle Prozesse möglichst emissions- und schadstofffrei.
Abb. 3: Wertschöpfungshügel der zirkulären Wertschöpfung. Quelle: Prosperkolleg nach “The Value Hill“ von Circle Economy (2016)
Strategien zur Umsetzung der Zirkulären Wertschöpfung
Abb. 4: Strategien der Zirkulären Wertschöpfung (R-Strategien). Quelle: Prosperkolleg nach Potting et al. 2017, in: Kirchher et al. 2017.
Aufgrund ihres Anfangsbuchstabens im Englischen werden sie auch als „R-Strategien“ bezeichnet. Auch diese Auflistung zeigt: Ohne Handwerk geht es nicht! Zirkuläre Wertschöpfung beinhaltet „per Definition“ viel Handwerk und das Handwerk hat Knowhow, das zur Umsetzung der Zirkulären Wertschöpfung erforderlich ist.
Machbarkeitsstudie Kreislaufwirtschaft
85 % der befragten KMU wünschen sich einen intensiveren Zugang zu Verbesserungsstrategien für eine zirkuläre Wirtschaft.
Die Handwerkskammer Münster und Partner führten eine Machbarkeitsstudie zur Kreislaufwirtschaft durch. Diese untersuchte, wie deutsche und niederländische Unternehmen ihre Prozesse nachhaltiger gestalten können. Die Ergebnisse zeigten, dass die zirkuläre Wertschöpfung in den Unternehmen bisher wenig berücksichtigt wird. 37 % der KMU planen jedoch, in zirkuläre Entscheidungsprozesse zu investieren. Es wurde auch festgestellt, dass Unternehmen oft eigene Standards für die Messung ihrer Kreislauffähigkeit festlegen, was Vergleich und Benchmarking erschwert.
Weitere Erkenntnisse:
- kleinere Unternehmen benötigen niederschwellige Unterstützung.
- kulturelle und gesetzliche Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden sollten beachtet werden.
- weniger als 10 % der KMU bewerten die Kreislauffähigkeit ihrer Partner
- viele Unternehmen fühlen sich bei Umstellung auf Kreislaufwirtschaft allein gelassen und benötigen externe Unterstützung
Die Studie wurde durch INTERREG V A – "Deutschland - Nederland" und die niederländischen Provinzen Gelderland und Overijssel finanziert.
Partner-Kontakte
- Saxion Hogeschool
Christoph Hinske, Hoofddocent (Associated Professor) Systems Leadership & Entrepreneurial Ecosystems c.hinske@saxion.nl - Landkreis Grafschaft Bentheim
Dr. Thorsten Heilker Thorsten.Heilker@Grafschaft.de
Martina Groven Martina.Groven@Grafschaft.de - Oost NL
Erik Plaggenmarsch, Projectmanager Circulaire Economie erik.plaggenmarsch@oostnl.nl
Was kann das Handwerk konkret tun?
Das Handwerk, an der Nahtstelle von Produktion und Verbrauch, leistet mit seinen werterhaltenden Dienstleistungen in vielen Bereichen wichtige und entscheidende Beiträge, um Produkte möglichst lange im Kreislauf zu halten. Nachhaltige handwerkliche Produkte zeichnen sich u. a. durch Öko-Design, Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit aus. Nachwachsende Rohstoffe werden in vielen Handwerken bereits traditionell eingesetzt. Darüber hinaus haben sich gerade in den letzten Jahren durch innovative Techniken und Materialien eine Vielzahl neuer Anwendungsfelder für nachwachsende Rohstoffe im Handwerk eröffnet. Bei der Produktnutzung sind es verschiedenste Reparatur- und Wartungsdienstleistungen des Handwerks, die zu einer Verlängerung des Lebenszyklus und zur Verbrauchsoptimierung von Produkten und damit zum Ressourcenschutz beitragen. Die Bandbreite reicht von Schuhen und Textilien über Fahrzeuge, Möbel, Heizung, Gebäudehülle, technische Geräte bis hin zu Produktionsmaschinen.
Der ZDH (2020, S. 21) sieht drei Rollen des Handwerks in der Kreislaufwirtschaft bzw. Zirkulären Wertschöpfung: als Produzenten, Dienstleister sowie Nutzer bzw. Verbraucher. Teils fällt eine klare Trennung schwer, weil die zugehörigen Aktivitäten eng zusammenhängen. Konkrete Beispiele sollen zeigen: Man kann bereits vieles im Kleinen tun, aber auch Großes bewegen, etwa indem man seine gesamte Geschäftstätigkeit „zirkulär“ ausrichtet.
Handwerk als Produzent:
- Ein Tischler baut Hocker aus Seegras
- Ein Orthopädietechniker nutzt Carbon-Reste aus dem Flugzeugbau
- Ein Bäcker nutzt Brotreste als Rohstoff für neue Backwaren oder nutzt sie energetisch
- Eine Tischlerei presst Staub und Späne zu Briketts für die Werkstattheizung
- Einsatz von Reststoffen als „alternatives“ Dämmmaterial im Bauwesen, z. B. Altpapier oder Seegras
- Einsatz von „klassischen“ Recyclingmaterialien für die eigene Produktion, z. B. Holz, Kunststoffe, Metalle
- Zuschnittoptimierung mit intelligenten Maschinen, die Verschnitte minimieren
Handwerk als Dienstleister:
- Reparatur bzw. Instandhaltung von Kraftwagen, Maschinen und elektrischen Haushalts- sowie Gartengeräten und vielem mehr (vgl. ZDH Positionspapier)
- Unterstützung von Reparaturinitiativen wie Repair Cafés und ähnlichen Initiativen
- Remanufacturing etwa von Kfz-Teilen wie Kupplungen, bspw. bei den Firmen ZF und FZT Unna
- Produkte als Dienstleistung verkaufen, bspw. Möbel vermieten statt zu verkaufen
- digital unterstützte Instandhaltungs- und Reparaturservices (z. B. mit 3D-Druck), bspw. Rail Service Center Dortmund-Eving
- Sanierung von Gebäuden anstelle von Neubau
Handwerk als Nutzer bzw. Verbraucher:
- Nutzung „zirkulär“ designter Werkzeuge wie Dachdeckerrollen, Kellen etc.
- Optiker nutzen Ultraschallgeräte zum Brillenputzen statt Wegwerftücher
- Kauf und Verkauf von Materialresten auf speziellen Online-Plattformen (z. B. Baustoffe bei materialrest24.de oder Restado oder Diverses auf ReUse and Trade)
- Verwendung mehrfach verwendbarer Alternativen wie wiederverschließbare Kabelbinder, wiederverwendbare Planen und vieles mehr
- Produkte bzw. Materialien „zirkulärer“ Unternehmen verwenden und sich an Rücknahmeprogrammen beteiligen, sofern vorhanden. Beispiele, von denen manche nach dem Standard für Zirkuläre Wertschöpfung „Cradle-to-Cradle“ zertifiziert sind:
- Gebäudesysteme der Fa. Schüco
- Haushaltsgeräte der Fa. Miele
- Pumpen der Fa. WILO
- Stahl der mit Oberflächen der Fa. ZINQ verzinkt ist - Material, Maschinen, Werkzeuge etc. mieten und/oder mit anderen Betrieben gemeinsam nutzen, leihen oder tauschen
- Arbeitskleidung verwenden, die hochwertig ist, fair produziert wurde, recycelbar ist bzw. recycelt wurde und eventuell gebraucht ist und/ oder gemietet wird.
Ausblick
Die nachhaltige, regionale Wertschöpfung des Handwerks kann sich künftig zu einem noch bedeutsameren Motor in Städten und Gemeinden hin zu einer zirkulären Wirtschaft entwickeln und bietet Chancen für neue oder erweiterte Geschäftsmodelle. Hierfür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen.
Hier ein paar Forderungen von Seiten des Handwerks:
- Das Handwerk ist bei der Reparatur und Wartung von Produkten stärker einzubeziehen.
- Politik sollte die konsequentere Berücksichtigung der Reparaturmöglichkeit von Produkten formulieren.
- Die Transparenz von Wertschöpfungsketten muss für den Konsumenten und Anwender deutlich erhöht werden.
- Die Wiederverwertbarkeit von Abbruchmaterialien ist durch neue Abfallkonzepte zu verbessern.
- Der nachhaltigen Beschaffung muss eine zentrale Bedeutung bei der Förderung einer zirkulären Wirtschaft zukommen.
Große Chancen – aber auch Herausforderungen – bestehen in der Umsetzung politischer Programme wie dem Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft der EU (engl. EU Circular Economy Action Plan). Dieser Plan beinhaltet beispielsweise ein „Recht auf Reparatur“, das dem Handwerk Auftrieb verleihen könnte. Wie sich bisher gerade in wirtschaftlichen Krisensituationen gezeigt hat, kann das Handwerk noch viel stärker stabilisierender Wirtschaftsfaktor werden, wenn durch Zirkuläre Wertschöpfung eine gewisse Unabhängigkeit von „externen Ressourcen“ geschaffen wird.
Als „Fazit“: Zirkuläre Wertschöpfung ist keine graue Theorie, sondern „beschlossene Sache“. Sie prägt bereits auf vielfältige Art und Weise den Betriebsalltag im Handwerk und wird dies zukünftig noch stärker tun. Wie können Handwerksunternehmen hiervon profitieren? Welche Anforderungen vom Gesetzgeber und Kunden kommen auf das Handwerk zu? Und was können Sie selbst tun? Kommen Sie mit uns ins Gespräch!